Viel Lärm um Lärm
Zu Beginn dieses schönen heissen Sommers stand ein Lärmstreit am linken Züriseeufer, wo seit Jahren ein Konflikt zwischen den Betreibern der Roten Fabrik und vier Anwohner_innen tobt. Auch die Badi Wollishofen kam unter die Räder. Dort war das neue Volleyballfeld Anlass zu einer Lärmklage, welche das Bundesgericht guthiess. Das Volleyballfeld führe zu untragbarem Lärm, verursacht durch das Aufprallen des Balles auf dem Boden und den Armen der Volleyballspielenden. Jetzt darf nur noch mit Stoftbällen Volleyball gespielt werden – wer will das schon?! Den 300m langen Cassiopeiasteg wollten die vier Villenbewohner_innen aus Angst vor Lärm ebenfalls verhindern, in diesem Fall scheiterten sie vor Bundesgericht. Beim Restaurant Ziegel au Lac hingegen waren sie erneut erfolgreich, statt rund 160 Leute, durfte es in diesem Sommer nur noch 96 in der lauschigen Gartenbeiz bewirtschaften.
Der Sommer war lang und heiss, die Zürcher Badis so gut besucht wie noch nie, viele Menschen haben das Leben draussen genossen. Und wie am Anfang so steht am Ende dieses Sommers eine spektakuläre Lärmklage, diesmal am rechten Limmatufer Höhe Lettenviadukt. Dort haben am vergangenen Wochenende 250 bis 300 Leute getanzt, getrunken und sich ein letztes Mal dem Sommerrausch hingegeben. Anwohner_innen haben sich wegen der Lärmstörung bei der Polizei gemeldet. Diese hat, nach einem gestellten Ultimatum, die Party mit einem grossen Aufgebot gewaltsam geräumt. Mit Tränengas, Gummischrot und Wasserwerfer. Aus nächster Nähe. Auf die meist unvorbereiteten friedlich feiernden Menschen. Dieses harte Eingreifen seitens der Polizei muss noch genau unter die Lupe genommen werden. Sofort wird die Stimme von zwei Anwohnenden neben dem Kochareal laut, die ein ebensolch hartes Vorgehen bei ihren Lärmklagen fordern. Die Polizei rückt jedes einzelne Mal aus, wenn sie anrufen.
Damit manifestiert sich die Macht der Lärmklagenden. Die Polizei hat keine Wahl. Wenn eine Lärmklage eingeht, muss sie handeln. Eine Lärmklage macht „Lärmende“ zu Kriminellen. Ganz egal ob 50 oder 100 andere Anwohner_innen mit den Lärmemissionen kein Problem haben, diese werden nämlich gar nicht gehört. Weil es keine Anrufzentrale gibt, bei der man folgende Nachricht hinterlassen kann: Super bei mir ums Eck findet eine angesagte Party statt auf der man tanzen kann, ohne Eintritt zu zahlen und überteuerte Drinks zu kaufen. Oder: Wieder ein lauer Abend, schön dass die Leute bis Mitternacht draussen hocken, essen und diskutieren dürfen. Oder: So gut, jetzt gibt es einen neuen Sportplatz, der wird ganz rege genutzt, ich bin froh, wenn sich Leute so beschäftigen anstatt vor der Glotze zu hocken.
Wir haben also ein Problem mit dem unterschiedlichen Lärmempfinden in dieser Stadt. Ist die (Nacht-)ruhe das höchste aller Güter, das unter allen Umständen geschützt werden muss? Wie steht das Ruhebedürfnis eines Einzelnen im Verhältnis zum Bedürfnis von mehreren hundert Leute, die die lauen Sommernächte draussen verbringen wollen, im nicht kommerziell genutzten Freiraum, die Feiern und Tanzen wollen und die gerne draussen mit richtigen Bällen Volleyball oder Pingpong spielen wollen?