Schwul? Kein Thema!

Am letzten Samstag las ich im Magazin des Tagi die Coming-Out-Geschichte von Schwinger Curdin Orlik. Es bewegte mich sehr. Und ich denke, ich muss jetzt mal erklären, warum mich diese Geschichte dermassen bewegt, obwohl ich mein Coming-Out schon vor über zwanzig Jahre hatte. Kurz zusammengefasst: Es ist immer noch nicht selbstverständlich, schwul zu sein – oder lesbisch, falsch- bi, trans-, pan-, intersexuell und alles zwischendrin.

In Bezug auf die vielen positiven Beiträge in den Kommentarspalten wurde geschrieben, dass dies der Zuspruch des eher linken und urbanen Umfeldes sei. In anderen Kreisen reagiert man eher mit Floskeln wie „er ist immer noch der Gleiche…“, „das ist seine Privatsache…“ und viele andere, welche nicht unbedingt ermutigend sind.

 

Doch das Schwierigste für queere Menschen abseits von linken und urbanen Zentren ist, dass es kein Thema ist. Das ist im Bericht über Orlik ganz deutlich zum Ausdruck gekommen. Nein, es werden keine Schwulen zusammengeschlagen (ausser in Zürich…), aber das schmerzende sei die völlige Abwesenheit in Schule, Kirche und eben Schwingen. Die stille Übereinkunft, dass es das nicht gibt. Also ein wichtiger Teil eines Lebensinhaltes wird ignoriert.

 

Das ist das, was ich im nicht linken und nicht sehr urbanen Umfeld in Chur auch lange erfahren habe. Ein wichtiger Teil meines Lebens über Jahre in mir getragen zu haben und niemandem davon erzählen können. Nur, weil man keine Ahnung hat, wie die Reaktionen sein werden – vermutlich nicht gut…

 

Das ist der Grund, warum ich Curdin Orlik so dankbar bin, dass er sein Coming-Out derart professionell aufgezogen hat. Diese Professionalität ist sicher für ihn selber das Beste, aber es ist auch gut für die Community. Das Schwulsein wird mit einem sympatischen Mann vermenschlicht, welcher sich in einem total unschwulen Umfeld bewegt.

 

Im 2004 fand eine ähnliche Geschichte statt, als sich ein aussichtsreicher Mister Schweiz-Kandidat in einer unglaublichen Selbstverständlichkeit zu seinem Schwulsein stand. Er hat damit mehr für die Community geleistet hat, als wir Politiker*innen versuchen zu erreichen.

 

Sicher wurde jetzt mit der Abschmetterung des Antidisriminierungsreferendums ein Schritt getan (leider nur für sexuelle Orientierung). Doch gleich diese Woche hat der Ständerat das statistische Erfassen von Gewalt gegenüber queeren Menschen abgelehnt. Mit Begründungen, welche meiner Meinung nach schlicht unehrlich sind. Damit brechen insbesondere die CVP und die FDP ihre Wahlversprechen, welche sie der Community gegeben haben. Ich hoffe, dass es wenigstens in Zürich damit vorwärts geht, da es hier in letzter Zeit sehr bedauerliche und unbegreifliche Vorfälle gab.
Nun, wir sehen, Gays sind überall und die Gleichstellung ist noch nicht da. Solange ein Coming-Out, wie jenes von Orlik noch soviel Mut braucht, ist es noch keine Selbstverständlichkeit. Ich warte auf den Moment, wo das Coming-Out eines Menschen keine Schlagzeile mehr macht.

 

Dieser Artikel erschien in der P.S.-Zeitung vom 13. März 2020