Frauendemonstration jährt sich zum 100sten Mal

Am 10. und am 17. Juni 1918 trug sich im und vor dem Zürcher Rathaus Aussergewöhnliches zu.

 

«Die Vorkämpferin» schrieb dazu:

 

«Wer etwa gehofft hatte, das schlechte Wetter halte die Demonstrantinnen ab, der sah sich getäuscht. … Beinahe militärisch pünktlich marschierten 1000 Proletarierfrauen und -mädchen um 09.30 Uhr vom Volkshaus gegen die Stadt zu. …

Die Bahnhoftrasse ist sich gewohnt, dass Demonstrationen ihren Asphalt treten. Sie muss unter den Schritten dieser Frauen etwas ganz anderes verspürt haben: ein Gewicht, so enorm; denn wie viel, wie schweres Leid schleppten diese 1000 Proletarierinnen!

Die Täfeln sagten es denen, die es auf den Gesichtern der Proletarierinnen

nicht lesen mochten: „Wir hungern“, „Unsere Kinder hungern“, „Wir fordern Beschlagnahme der Lebensmittel“. Eine Frau, die neben mir ging, erzählte: „Ich musste schon auf 5 Uhr zum Putzen; da schrieb ich meinem Mann auf einen Zettel: „Bitte, such Du, was Du heute

zu Mittag findest; ich werde ausharren. Vielleicht erreichen wir etwas“.»

 

Zwei Stunden hielten die Frauen dem strömendem Regen vor dem Rathaus stand. Drinnen berieten die sogenannten „Volksvertreter“, ob eine Delegation der notleidenden Frauen ins Rathaus eingelassen werden sollte, um ihre Anliegen vorzutragen. Nach hitziger Debatte und mehreren Abstimmungen entschied der Rat schliesslich gegen die Anhörung. Aus Protest verliess die Sozialdemokratische Fraktion den Ratssaal fast geschlossen. Die wenigen verbliebenen Genossen erreichten immerhin, dass die Frauen ihr demokratisches Recht eine Woche später doch noch wahrnehmen durften. Sie hatten gerade rechtzeitig entdeckt, dass die zürcherische Verfassung von 1869 den Urhebern von Volkspetitionen das Recht zugestand, ihr Begehr vor dem Kantonsrat zu begründen. Die Verfassungsväter hatten rund ein halbes Jahrhundert früher wohl kaum daran gedacht, dass ausgerechnet Arbeiterfrauen als erste von diesem Recht Gebrauch machen würden.

 

Am 17. Juni sprachen tatsächlich erstmals Frauen im rein männlichen Zürcher Kantonsrat. Die Genossinnen Rosa Bloch, Marie Härri und Agnes Robmann verteidigten als Delegierte ihre Forderungen vor dem Rat: Sie berichteten von Teuerung, Hunger und grösster Not. Sie forderten ein garantiertes Existenzminimum und die sofortige Beschlagnahmung, Enteignung und Verteilung der notwendigen Lebensmittel nach Massgabe des Bedarfs und nicht des Besitzes.

 

Das empörte den Gründervater der Zürcher Bauernpartei, Fritz Bopp, derart, dass er seinen Rücktritt einreichte und nie mehr im Rathaus auftauchte. Zwar sind wir heute bei manchen Gleichstellungs-Themen im Jahr 2018 weiter – am Ziel sind wir aber noch lange nicht.

 

Auch heute braucht es kämpferische Frauen, die dem Vorbild der Hungerdemonstrantinnen von 1918 folgen und die nach wie vor empörenden und durch nichts gerechtfertigten Benachteiligungen Schritt für Schritt beseitigen.

 

Mehr Informationen zu den Hungerdemonstrationen und dem damit in Verbindung stehenden Landesstreik finden Sie hier.